Die Papierkünstlerin Kathrin Henneberger lebt und arbeitet in einer der unruhigsten und sich am schnellsten verändernden Großstädte – Berlin. „Berlin“, sagt sie, „ist eine einzige Herausforderung sowohl an die Sinne als auch den Verstand. Es ist inspirierend und kräftezehrend zugleich.“
So ist es vielleicht zu erklären, dass sie die Hektik und Schnelllebigkeit ihrer alltäglichen Umgebung ausgleicht, indem sie sich einer Kunstform zuwendete, die auch als „slow art“, als langsame Kunst, bezeichnet wird. Ihre Arbeiten entstehen in einem langwierigen, manchmal Monate dauernden Prozess aus Auftragen von Material, Trocknen der Schichten, Abschleifen, erneutem Auftragen, Trocknen und Schleifen, Schleifen und Schleifen… Es ist ein äußerst meditatives Arbeiten von Millimeter zu Millimeter. Das Ergebnis sind Objekte und Figuren, denen die Ruhe und Harmonie innewohnt, mit der sie geschaffen wurden.
(Michael Rahn)
Stationen innerer Zustände
Als ich noch versuchte, mein Fühlen und Denken zweidimensional aufs Papier zu bringen und den Zustand von Zärtlichkeit oder Schmerz zu umwörtern, um wieder Ruhe zu finden oder Antworten, geriet ich oft zu schnell an meine Grenzen. Es ließ sich mit Worten nicht recht ausdrücken, was da wühlte, und so kamen die Hände ins Spiel und trieben alles Fühlen und Denken ins Papier. Und indem ich das Papier zu begreifen begann, statt es zu beschreiben, wurde es zur Verkörperung dessen, was mich bewegt(e).
In diesem Sinne verstehe ich meine Arbeiten als Stationen innerer Zustände auf dem Weg zu möglichen Antworten, nicht als Antworten oder Aussagen selbst. Beginne ich mit einer Arbeit, so weiß ich noch nicht, was das Ergebnis sein wird. Ich taste mich intuitiv voran, prüfe, verwerfe, entdecke, lasse mich führen und verführen, Wochen und manchmal monatelang, so lange, bis es still wird.
Die Themen, die mich beschäftigen, reichen von ganz intimen, etwa dem Abnabeln vom eigenen Kind („Loslassen“) oder der Veränderung durch das Altern („Zyklus“, „Das Glück des Alters/Das Glück der Jugend“), ragen aber auch in den Bereich der Literatur, wie mit dem Gedicht von Karoline von Günderrode aus dem Jahr 1805, die die Todessehnsucht in so zärtliche und aufrichtige Worte zu fassen vermochte, dass ich sogar zwei Mal versuchte, es zu visualisieren („Der Kuss im Traume“). Eine meiner ersten Arbeiten („Position und Pose“) geht auf die Auseinandersetzung mit historischen Fotografien aus der Kolonialzeit zurück. Ich wollte fühlend nachvollziehen, welche Rolle die eingenommene Position des Fotografen (von unten hinauf – von oben herab) auf seine innere Haltung oder Pose gegenüber dem Fotografierten gespielt haben muss und umgekehrt. Auch meine jüngeren, abstrakteren Arbeiten beziehen sich auf sinnliche Erfahrungen und Erinnerungen, so zum Beispiel „Die Höhlenperlen“. Als Kind habe ich oft die mit Edelsteinen und Mineralien gefüllten Vitrinen meines Vaters bestaunt und mich an den Farben und Formen berauscht. Eine Platte mit Perlen in verschiedenen Größen und Farbtönen, manche locker aufliegend und manche festgewachsen, hat sich mir dabei ins tiefe Gedächtnis gesetzt…
Dass ich Papier als Werkstoff nutze, geschah zu Beginn eher zufällig. Heute aber weiß ich die Vorzüge von Papier zu schätzen und betrachte seine Einschränkungen gegenüber anderen eher klassischen Bildhauerwerkstoffen wie Ton, Holz oder Stein als überwindbare Herausforderung. Dieser Optimismus blieb unerschütterlich und belohnte mich mit Überraschungen und interessanten Erfahrungen. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, so wünsche ich mir, nie erfahren genug zu werden.
(Kathrin Henneberger)